Content Marketing / Pia Schreiber 9. Juni 2020

Vereinbarkeit von journalistischen Methoden mit Content Marketing

Bei der täglichen Arbeit im Content Marketing stößt man im schreibenden Umfeld immer mal wieder auf Bedenken bezüglich einer eingeschränkten journalistischen Unabhängigkeit im Content Marketing im Vergleich zum klassischen Journalismus. Unsere Autorin hat sowohl in der Wissenschaft und im Journalismus als auch im Content Marketing gearbeitet. Im folgenden Kommentar vergleicht sie den Journalismus und das Content Marketing miteinander und gibt einen Eindruck, wie die beiden Welten voneinander profitieren könnten.

Ein Kommentar von Dr. Pia Schreiber

Journalisten Demonstration

Der Journalismus ist objektiv – das Content Marketing subjektiv. Ja, wirklich? Lässt sich das so klar abgrenzen? Oder ist Content Marketing am Ende ein Journalismus 2.0? #100journalistenreißenempörtdiearmeindieluft.

Content Marketing nutzt die Methoden des Journalismus für werbliche Inhalte. Dabei setzt es aber ebenso auf gut geschriebene und qualitativ hochwertige Texte und will einen Mehrwert für die Leser schaffen. Aber es ist eben auch aus Auftraggeber-Perspektive geschrieben. Wie das am Ende eine erfolgreiche Mischung wird, soll in diesem Artikel veranschaulicht werden.

Warum das alles?

Journalismus vs. Content Marketing

Zunächst einmal: Why the hashtag? Ich komme aus dem Journalismus, war lange in der Wissenschaft und bin jetzt im Content Marketing. Ich durfte also in drei Welten Kommunikationsluft schnuppern und Folgendes habe ich unter anderem gelernt: Der Journalismus entwickelt sich im Vergleich zu Wissenschaft und Content Marketing sehr träge und Journalisten lassen sich nur ungern beobachten und hinterfragen. Schließlich sind sie seit jeher die designierten Hinterfrager im System.

Nun ist das aber längst keine exklusive Rolle mehr und andere Kommunikatoren und Multiplikatoren auch außerhalb des Journalismus sind in den vergangenen Jahren hinzugekommen. Manch ein Journalist verlässt gar das System und wechselt in die Unternehmenskommunikation – oft auch ins Content Marketing. Damit begehen Journalisten eigentlich so etwas wie Hochverrat an ihrer eigenen Berufsgruppe – zumindest, wenn man ihren ehemaligen Kollegen traut. Denn Content Marketing sei schließlich „Unternehmensjournalismus“ und damit ein Paradoxon in sich. Wie soll denn etwas Journalismus sein, das direkt aus einem Unternehmen kommt?

Die Quintessenz können Sie sich vorstellen: Wenn man nun – wie es ja dieser Beitrag anstrebt – Journalismus und Content Marketing vergleichen möchte, dann ist die Empörung eben groß. Zu Recht? Einer der Hauptreibungspunkte in der Debatte ist wohl die Objektivität: Journalismus muss objektiv sein und Content Marketing kann es gar nicht? Äpfel und Birnen! Unvergleichbar!? Falsch!

Vollkommene Objektivität gibt es in der menschlichen Welt gar nicht. Auch journalistische Medien konstituieren und konstruieren Wirklichkeit. Sie verkaufen als Realität, was Kommunikatoren beobachten. Damit sind sie subjektiver, als sie es sich oftmals einzugestehen wagen. Was nicht gesehen wurde, wird nicht thematisiert. Was nicht als wichtig erachtet wurde, gelangt nicht auf den Kanal. Dadurch trägt Journalismus am Ende zur sozialen Wirklichkeitskonstruktion bei und tut nicht viel anderes als das Content Marketing – nur aus anderen Beweggründen und weniger offensichtlich vielleicht.

Das führt zu folgender Grundannahme: Genauso wie der Journalismus kann sich das Content Marketing der Objektivität nur annähern.

Zum Vergleich der beiden Kommunikationsdisziplinen gehört aber mehr als die Objektivität:

Der Hintergrund

journalismus und content marketing fechten

Das Content Marketing ist für den Journalismus sicher ein zuvor ungekannter Kontrahent. Aber auch nicht der einzige. Journalisten hatten lange die Informationshoheit, waren die Agenda Setter und Gatekeeper, die bestimmt haben, über was die Gesellschaft sich unterhält. Das ist allerdings schon lange nicht mehr so. Und das nicht nur durch das Content Marketing. Grundsätzlich ist die Kommunikation von Unternehmen immer professioneller geworden und hat mehr Möglichkeiten hinzugewonnen, ihre Kunden zu erreichen. Neue Multiplikationen auf beispielsweise diversen Social-Media-Plattformen laufen den alt eingesessenen Medien den Rang ab. Warum? Schneller? Nahbarer? Authentischer? Aber sicher nicht eines: tiefgründiger.

Und da kommt das Content Marketing ins Spiel. Der neuere Kontrahent des Journalismus beherrscht auch die fundierte Kommunikation und hat in der Regel noch weitere Vorteile gegenüber dem Journalismus: mehr Zeit und Budget beispielsweise, eine hohe fachliche Expertise im Haus, exklusive Informationen, einen gewissen Expertenstatus des Absenders und einen sehr klaren fachlichen Fokus auch im Verhältnis zu den meisten fachjournalistischen Publikationen.

Andererseits nimmt das Content Marketing natürlich die Unternehmensperspektive ein. Unternehmenswerte übertrumpfen damit Nachrichtenwerte. Oftmals werden zudem Geschichten über Testimonials gespielt, die mehr oder minder ausgedacht wirken. Das kann einen Mangel an Glaubwürdigkeit und Authentizität zur Folge haben. Selbiges gilt, wenn das Unternehmen über Themen schreiben lässt, die nur sehr entfernt mit der eigenen Expertise zu tun haben. Wer will schon Hochzeitstipps von einem Bauunternehmen haben? Dann doch lieber den nach der Vermählung anstehenden Hausbau thematisieren.

Doch werden wir konkreter:

Content Marketing und Journalismus im Vergleich

Möchte man die beiden Berufsfelder einander gegenüberstellen, dann lohnt sich eine Aufsplittung nach Tätigkeiten, Qualitätskriterien und Bedingungen. So erfasst man auf drei Ebenen die Rahmenbedingungen, mit denen die jeweiligen Akteure regelmäßig konfrontiert sind.

Fangen wir mit dem Journalismus an: Was tun Journalisten? Es ist der naheliegende Dreiklang aus „Suchen & Sammeln“, „Auswählen & Sortieren“ und „Verarbeiten & Vermitteln“. Oder anders gesagt: Sie recherchieren, wählen die Informationen aus und fassen sie zum Beispiel in einem Artikel zusammen.

Dieser Artikel wiederum muss dann diversen Qualitätsstandards für einen journalistischen Text (vgl. „Magisches Vieleck der Medienqualität“ nach Stephan Ruß-Mohl) genügen: Aktualität, Relevanz, Transparenz, Objektivität, Komplexitätsreduktion und Originalität. Soll heißen: Zunächst einmal sollten die vermittelten Fakten immer aktuell und für den Leser relevant sein. Inhalte sollten außerdem möglichst verständlich (bspw. durch einfache Sprache) und originell (bspw. über Fallbeispiele) aufbereitet werden. Darüber hinaus müssen Quellen kenntlich gemacht werden. Und zu guter Letzt: die Annäherung an die Objektivität durch die Darstellung möglichst vieler Perspektiven.

Basis des Ganzen soll eine möglichst profunde Unabhängigkeit der Journalisten sein, auf deren Fundament sie – und soweit die Theorie – möglichst sachlich auch über kritische Themen berichten können. Aber auch hier spielt ein menschlicher Faktor mit hinein. Denn bei aller Staatsferne und Pluralität sind Journalisten individuell vorgeprägt und damit zumindest voreingenommen gegenüber verschiedenen Themenkomplexen. Ganz natürlich, unvermeidbar und nicht weiter dramatisch, solange sie sich das immer wieder vor Augen führen und damit beziehungsweise daran arbeiten.

Und die Content Marketer? Same, same … but different. Dass Content Marketing – wie bereits erwähnt – zuweilen als „Unternehmensjournalismus“ bezeichnet wird, kommt nicht von ungefähr. Und ich würde es nicht so negativ interpretieren, wie es oft gemeint ist, denn: Den Journalismus und das Content Marketing unterscheidet tatsächlich nicht viel und das ist nicht per se schlecht.

Team journalismus und content marketing

Content Marketer und Journalisten haben das gleiche handwerkliche Rüstzeug, setzen ähnliche Qualitätskriterien an und wollen Argumente mit hieb- und stichhaltigen Informationen stützen. Der entscheidende Unterschied? Die Perspektive! Genauso wie der Journalismus hat das Content Marketing eine rechtlich garantierte Kommunikationsfreiheit, arbeitet aber unter anderen ökonomischen Rahmenbedingungen: Leistungen werden vom Auftraggeber bezahlt. Während der Journalismus nach Nachrichtenwerten auswählt und möglichst allumfassend berichtet, kommuniziert das Content Marketing am Ende immer aus Kundenperspektive.

Die oben genannten Qualitätskriterien haben damit zwar eine etwas andere Gewichtung, aber dennoch eine nicht von der Hand zu weisende Relevanz: Aktualität beispielsweise muss ebenso in Artikeln des Content Marketing wie in journalistischen gegeben sein. Auch wenn diese nur latent vorhanden ist, da sie sich nicht am Tagesgeschehen orientiert. Im Journalismus ist die latente Aktualität schon ein akzeptiertes Konzept: im Fachjournalismus zum Beispiel. Denn dort richtet sich Aktualität nach behäbigeren Erscheinungsrhythmen und Fachaktualität. Wenn es seitdem keine neuere Studie gab, ist nun einmal die vier Jahre alte Untersuchung immer noch aktuell und zitierbar.

Die Relevanz richtet sich genauso wie bei journalistischen Medien nach den Bedürfnissen der Leser. Nun schafft Content Marketing allerdings Bedürfnisse im Sinne des Auftraggebers und offeriert gleichzeitig eine Idee für deren Befriedigung. Dieses Prinzip geht auf Edward Bernays zurück und orientiert sich an seinen damals wegweisenden Kampagnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seinerzeit wurde – maßgeblich durch Bernays beeinflusst – der Fokus von der Qualität und Funktionalität von Produkten hin zu einem mit ihnen assoziierten Gefühl verschoben.

Man könnte meinen, dass sich hier die Wege von Journalismus und Content Marketing trennen. Aber, nein: Äpfel und Birnen sind ja immer noch Obst. Auch der Journalismus betreibt Bedürfniserzeugung und -befriedigung. Und das ist völlig legitim: Eine Qualitätszeitung lebt von ihrem Image und wählt unter anderem auf Basis ihrer Außenwahrnehmung Themenschwerpunkte und Interviewpartner aus. Um die erwartbaren Bedürfnisse ihrer Leser zu befriedigen und letztlich ihr Produkt zu verkaufen – denn neben den oben genannten Kriterien muss ein journalistisches Produkt eben auch ökonomische Kriterien erfüllen, um letztlich weiter existieren zu können.

Und die anderen Qualitätskriterien? Über die Objektivität haben wir schon gesprochen. Und zur Transparenz, Originalität und Komplexitätsreduktion wage ich einfach ohne große Herleitung festzustellen: Sie sind in einem Text des Content Marketing ebenso herstellbar und qualitätsfördernd wie in einem journalistischen. Warum auch nicht?

Fazit

Der Journalismus ist nicht umsonst durch- oder im besten Fall wachgerüttelt. Das Content Marketing fischt da in den Gewässern der Journaille und tut gut daran, den einen oder anderen Fisch einzusacken. Vielleicht führt das am Ende zu einem gesunden Wettstreit.

Apropos gesund. Zu guter Letzt muss ich, die ich eher so der Halbvoll-Typ bin, an alle Seiten appellieren: Lasst doch einfach mal die destruktiven Metaphern sein! Wenn das Content Marketing beispielsweise wirklich der „Sargnagel des Journalismus“ wäre, wie Prof. Dr. Lutz Frühbrodt in einem Meedia-Interview im Juni 2016 konstatiert hat, dann würde das doch bedeuten, dass der Journalismus schon tot ist. Denn keiner muss sich idealerweise lebendig begraben lassen.

Mir gefällt da die Vorstellung der Wiedergeburt deutlich besser. Aus dem Aneinanderreiben und einer gegenseitigen Herausforderung entsteht im besten Fall doch etwas Neues, Frischeres, Besseres? Also, lieber Journalismus, liebes Content Marketing: Seid ein Korrektiv und Ansporn füreinander. Lernt! Voneinander. Von euren Erfolgen. Von euren Misserfolgen. Aus der Vergangenheit.

wiedergeburt journalismus

Das heißt zum Beispiel für all die Mitstreiter im Content Marketing: Schreiben Sie über echte Geschichten und über echte Menschen! Es braucht Authentizität und Glaubwürdigkeit. Denn das Erzeugen eines Bedürfnisses ist die eine Sache – der Wunsch nach Befriedigung bei genau unserem Kunden setzt vor allem viel Vertrauen in das Unternehmen oder die Marke voraus.

Und schreiben Sie sich auch mal durch die ganze Bandbreite an verschiedenen journalistischen Darstellungsformen. Reportage? Feature? Angefeatureter Bericht. Vielleicht sogar mal eine Glosse. Auf einen Versuch kommt es an. Denn Originalität ist am Ende vor allem eines: verkaufsfördernd.

Und an die Journalismus-Kollegen: Nehmen Sie sich Zeit! Für Recherche. Für eine kritische Auseinandersetzung. Rasen Sie nicht der Social-Media-Meute hinterher, sondern schaffen Sie Mehrwert und stärken Sie eine journalistische Kultur, in der sich eine kritische Attitüde wieder lohnt. Ansonsten könnten wir unsere Artikel auch einem ausgefuchsten Computer-Algorithmus überlassen …

Quellen & Links

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